General Store nennt man in den USA einen altmodischen Dorfladen, der Gemischtwaren des täglichen Bedarfs wie Butter, Mehl, Stoffe oder Werkzeug und oft auch ein einfaches Mittagessen anbietet. Ein solches Geschäft hatten Jillian May und ihre drei Mitstreiter vor Augen, als sie 2014 ein Konzept für diesen ungewöhnlichen Standort entwickelten. Das 1902 im Stil der preußischen Neogotik errichtete Gebäude am Halleschen Ufer beherbergte zunächst das kaiserliche Postamt Berlin Südwest 61, nach Aufgabe durch die Post in den 1990er Jahren fanden hier Underground-Elektroparties statt, danach stand es einige Jahre leer. „Wir brauchten damals viel Vorstellungsvermögen, um darin einen Restaurantstandort zu erkennen“, erinnert sich May, „viele kleine Räume, alle dunkel, abgehängte Decken – es war ein richtiges Loch.“
Der Vermieter half bei der Umgestaltung der insgesamt 280qm großen Fläche kräftig mit und investierte in eine neue Küche, Sanitäranlagen, neue Rohre und Elektrik. Während der sechsmonatigen Umbauzeit kochte das junge Team in einem Imbisswagen im Hof. „Wir konnten nur Kaffee und ganz einfache Gerichte anbieten“, sagt May, „es war stressig, aber weil wir so klein angefangen haben, konnten unsere neuen Nachbarn uns gut kennenlernen.“ Die Nachbarn, darunter viele Mitarbeiter der Start-ups und der internationalen Gallerien in der direkten Umgebung sowie die Angestellten des Europäischen Patentamtes, mochten das neue, improvisierte, lockere und kosmopolitische Restaurant.

Im Eingangsbereich des Halleschen Hauses befindet sich inzwischen ein Ladengeschäft für exklusive Dekorations- und Einrichtungsgegenstände, für Geschenke und Körperpflegeprodukte, viele davon aus kleinen Manufakturen aus der ganzen Welt, insbesondere aus den USA. Dahinter – im ehemaligen Schalterraum, wo zu Klubzeiten getanzt wurde, schließt jetzt das Restaurant an mit rund 70 Sitzplätzen. Die Innenräume wurden zeitgemäß eklektisch gestaltet, skandinavischen Stil nennt es May oder ‚rough around the edges‘, nicht so perfekt, wenn man genauer hinschaut: gescheckter Fliesenboden, Löcher im Putz, Regale aus einer alten Keramikfabrik, gebrauchte Stühle von einer Schule und einer Polizeiwache an langen Tafeln. All das zusammen gibt dem Ort eine positive Aura. Es gäbe heute keinen Ort mehr, an dem nicht mehrere Stil zugleich zu finden sind, meint May. „Wir gucken alle die gleichen Fotos auf Instagram und dieser Stil ist gerade bestimmender Zeitgeist. Das Hallesche Haus könnte genau so auch in Tel Aviv oder Shanghai stehen.“
In der begrünten Hofterrasse haben im Sommer nochmal etwa 60 Personen Platz. „Der Garten ist auch etwas Kraut und Rüben“, sagt May, „wir haben alles mal bepflanzt, aber wir sind keine Gärtner und Natur, Wind und Regen, bestimmen wie es am Ende aussieht und wir lassen es einfach so.“ Im Sommer werden hier Barbecues veranstaltet. Ansonsten gibt es im Halleschen Haus weder traditionelle deutsche, noch traditionelle amerikanische Küche, sondern ‚international comfort food‘ wie May es bezeichnet: saisonal, viel Bio, vor allem nicht zu schwer, damit die Mittagsgäste danach weiterarbeiten können. Die australische Chefköchin Edwina Bishop und ihr Küchenteam offerieren von 10 bis 16 Uhr Frühstück wie Hirse Porridge mit Kokosmilch, Datteln und Hibiskus-Birne für 7,50 €, zwischen 12 und 16 Uhr Lunchgerichte wie gerösteten Blumenkohl mit Feta, Walnüssen, getrockneten Johannisbeeren und Ahornsirup für 9,50 € oder Lamm Shakshuka – Gehacktes vom Lamm mit einem nach israelischer Art in Tomatensoße pochiertem Ei für 10,00 €, und ab 16 Uhr Afternoon Snacks wie Entenleberpastete mit Sauerteigbrot für 6,90 € oder Oliven mit Käse und Crackern für 6,50€. Die Tagessuppe gibt es ab 5,90 €. Am Wochenende ist das Frühstücksangebot umfangreicher, bekannt ist das Hallesche Haus für sein fluffiges French Toast. Den Durchschnittsbon schätzt May auf 12,00 € unter der Woche und 16,00 € am Wochenende.

Jilian May stammt aus Neuengland, war Kunstlehrerin, Fashion Scout und in einer Galerie in New York tätig, die von einem Deutschen geleitet wurde. Dadurch hatte sie viele deutsche Freunde und entschloss sich, mal für ein Jahr nach Berlin zu gehen. Sieben Jahre später ist sie immer noch da und betreibt mir drei Partnern und einem 15-köpfigen Team eines der spannendsten Restaurantprojekte der Stadt. Ohne Investoren, nur mit Eigenmitteln und einem Bankkredit. Doch die Herausforderungen hören nicht auf. Zukünftig sollen noch mehr Firmenevents und Hochzeiten im Halleschen Haus stattfinden. „Laden und Restaurant machen jetzt im dritten Jahr fast keinen Gewinn“, sagt May, „In den nächsten Jahren profitabel zu werden ist unsere große Herausforderung.“ Oliver Numrich