Anspruchsvoll speisen auf der Hauptstadtkogge

Hätte Toni Kaiser geahnt, dass es drei Jahre dauern würde, bis alle Genehmigungen für seine „Hauptstadtkogge Gode Wind“ vorliegen, hätte er die ehemalige Kulisse aus der ARD-Produktion „Störtebecker“ wohl nicht aus Litauen nach Berlin bringen lassen. Der 37-jährige Einzelhandelskaufmann ist seit gut zehn Jahren auf den Berliner Gewässern unterwegs: Er vermietet vier unterschiedlich große Flöße für bis zu 55 Passagiere, reedert einen Schaufelraddampfer und ein hölzernes Salonschiff. Jedes Jahr absolvieren seine Boote an die 800 Fahrten, etwa Firmenfeiern, Geburtstage und Hochzeiten, dazu kommen 150 Glühwein-und-Fondue-Touren sowie Weihnachtsfeiern, zu denen die Schiffe mit Kaminen beheizt und wie Skihütten dekoriert werden. „Wir machen alles mit, auf und an dem Wasser“, fasst Kaiser das Aleinstellungsmerkmal seines Geschäfts zusammen. Restaurants gäbe es schließlich viele in Berlin, aber alles mit Wasser sei unschlagbar.
Durch den milden Winter konnte er die Saison von 5 auf 9 Monate ausdehnen, nur noch von Januar bis März sind seine Boote außer Dienst. Eines der Hauptprobleme des Gastronomen, denn dann schmilzt sein Personalbestand von 100 Mitarbeitern auf eine Kerntruppe von 45 Mann zusammen, etliche Fachkräfte kommen dann abhanden. „Wir stecken in der Saisonfalle“, sagt Toni Kaiser, „im April stellst Du sie ein, im Juni sind sie gut und im Winter schickst Du sie wieder nach Hause.“
Um die Flöße optimal versorgen zu können, hat Kaiser 2016 die Catering-Firma Spreeküche gegründet, in der zentral gekocht wird. Demnächst zieht sie von Moabit an die Rummelsburger Bucht, dann können die Schiffe direkt am Kai bestückt werden. Die Hauptstadtkogge unterscheidet sich vom Rest der Flotte, weil sie nicht fährt, sondern an der Rummelsburger Bucht festgemacht ist und weil es statt Catering hier frisch zubereitete Gerichte á la carte gibt. Dass Gastronomie Spaß machen kann, hat Kaiser bereits in seinem ersten Ausflugsrestaurant „Mutter Lustig“ in Köpenick festgestellt. In der Gode Wind offeriert er anspruchsvolle Gerichte wie hausgemachte Tagliatelle mit frischen Kräutern, Ruccola, Kirschtomaten und Pesto für 12,50 Euro oder Isländischen Lachs auf Tomaten-Petersilien-Gremolata und Mandel-Safranpolenta für 19,50 Euro. An der Berlin Food Week haben sie sich mit einem Abend-Menü zum Thema „Roast Trip“ beteiligt: Suppe mit Louisiana Flußkrebsen und gerösteten Haselnüssen, gegrillte Jakobsmuschel, Flanksteak mit geröstetem Rosenkohl und gegrillte Mango für 49,00 € inklusive Aperitif.
Für Restaurantleiter Nick Schulze, 35, steht immer die Qualität im Vordergrund. Die drücke sich im Service auch in Aufmerksamkeit und  Fachwissen aus. Deshalb gibt es für alle Servicekräfte obligatorische Schulungen zur Weinkarte, die mit der Berliner Wein-Compagny zusammen erstellt wird, und jährliche Besuche in der Störtebecker-Braumanufaktur in Stralsund, aus der die Gode Wind passenderweise ihr Bier bezieht. Gemeinsam mit der Berliner Destillerie Mampe wurde der „Kogge-Schnaps“ entwickelt. Er  reift in einem Holzfass an Bord des Schiffes und wird Gästen verabreicht, die seekrank zu werden drohen.
Die Eröffnung der Gode Wind war ursprünglich 2014 geplant, doch wegen zahlreicher Genehmigungsprobleme hat es drei Jahre gedauert, bis im August 2017 endlich die ersten Gäste bewirtet werden konnten. „Wasser ist für alle Behörden eine schwierige Materie“, sagt Kaiser. Er wurde von einem Amt zum nächsten geschickt: Die Bezirksbehörden wollten für ein Restaurant auf dem Wasser nicht zuständig sein, das Berliner Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt nicht für ein Schiff, dass nur ein Filmrequisit war, aber nie im Schiffsverkehr. „Das ist ein generelles Problem in der Berliner Verwaltung: Keiner traut sich, etwas zu entscheiden, jeder schiebt die Bälle weg“, so Kaiser. Statt zu genehmigen, erteilte jede Behörde Auflagen: Bau eines zusätzlichen Fluchtstegs, rollstuhlgerechte Aufzüge und Toiletten, Parkplätze, Lärmschutz und eine Kippsicherung für das gesamte Schiff durch seitliche Pontons. „Um jede Auflage abzuarbeiten, brauchten wir drei bis vier Monate Zeit.“ Zwischendurch wechselte nicht nur der Bezirksbürgermeister, was dazu führte, dass Toni Kaiser seine Lobbying von vorn beginnen musste, sondern das Holzschiff erlitt im Winter schwere Schäden und musste für 50.000 Euro generalüberholt werden. „Man steckt irgendwann zu tief drin,“ beschreibt Kaiser das Dilemma, „wenn man schon Hunderttausende Euros investiert hat, dann bezahlt man eben auch noch die nächsten 50.000 Euro für die nächste Hürde, um es abzuschließen. Aber wenn ich das von Anfang an gewusst hätte, hätten wir es vermutlich abgebrannt.“
Doch der Sommer des Jahres 2018 war auf seiner Seite: Endlich konnten die 80 Sitzplätze an Deck und die 35 Sitzplätze unter Deck gut ausgelastet werden. Die traumhafte Lage mit dem freien Weitblick über die gesamte Rummelsburger Bucht bescherte ihm viele Besucher. Die entspannte Atmosphäre an Bord, die originellen Holzmöbel, die maritimen Details und nicht zuletzt der beflissene Service wirken auf viele Gäste wie ein Kurzurlaub von der Großstadt. „Jeder der hierher kommt, macht mindestens zwei Fotos“, sagt Kaiser, „eines beim Betreten des Schiffes und eines beim Sonnenuntergang über der Spree“. Das hat allerdings den Nachteil, dass sie durchschnittlich länger verweilen: statt der üblichen zwei bis zweieinhalb Stunden blieben die meisten Gäste zweieinhalb bis drei Stunden, wodurch eine zweifache Auslastung der Tische pro Abend nicht mehr machbar war. Für die nächste Saison strebt das Team der Gode Wind deshalb eine bessere Verteilung der Reservierungen in einen ersten Schwung ab 17:30 Uhr und eine zweite Welle ab 19:30 Uhr an. Außerdem soll im nächsten Jahr ein Finomaßkahn neben der Gode Wind festgemacht werden, auf der eine schwimmende Strandbar mit einem kleinen Snackangebot (Fish& Chips) entsteht.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung. Verbreitung oder Vervielfältigung auch auszugsweise nur mit Zustimmung des Autors ©OliverNumrich
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