Fast eine Stunde braucht man vom Zentrum bis zum äußersten südöstlichen Zipfel Berlins, nach Schmöckwitz. Das ehemalige Fischerdorf, fast vollständig von Seen und dem Spreenebenfluss Dahme eingeschlossen, gehört zu den am dünnsten besiedelten Ortsteilen der Hauptstadt und ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Hier, inmitten eines Campingplatzes am Krossinsee, zwischen Wohnwagen und Kiefern, hat im Mai dieses Jahres das Mutzenbacher am See eröffnet. Es ist bereits das zweite Restaurant, das der Tiroler Franz-Josef Steiner in Berlin betreibt. Das Stammhaus „Mutzenbacher Schnitzelpuff“ – in Anlehnung an den Wiener Dirnenroman – in der Libauer Straße in Friedrichshain hat schon Kultcharakter erlangt.

Die extreme Randlage ist kein Zufall, sondern von Steiner bewusst angenommen: er wollte wenigstens teilweise der Alltagshektik der Großstadt entkommen, zugleich reizte ihn die Herausforderung, gastronomisches Neuland zu betreten. „Die kulinarische Basis des Mutzenbacher am See ist österreichische Esskultur, aber wir lassen ostdeutsche Küche einfließen“, erklärt Steiner. So entwickelte er etwa das in Ostdeutschland populäre Würzfleisch weiter, verwendet österreichisches Rippenfleisch und schärft es mit Meerrettich. Auch Königsberger Klopse gibt es auf österreichische Art, bei der die Soße aufgeschäumt und dadurch viel leichter wird. Die Rinderroulade wird klassisch zubereitet, aber japanisch abgeschmeckt – eine Reminiszenz an die japanische Teikyo Privatuniversität, die in Schmöckwitz ihren Berliner Campus unterhält.
„Hier, unmittelbar an der Grenze zu Brandenburg hat sich seit 20 Jahren kulinarisch sehr wenig verändert“, sagt der 42-Jährige, „deshalb greifen wir das auf, was hier existiert, verfeinern es und schaffen etwas neues. Wir wollen Gerichte kreieren, über die man sich wieder unterhalten kann!“ Seine Kreativität hat den Koch bereits in die TV-Show „The Taste“ und damit bundesweite Bekanntheit gebracht. Dabei ist Franz-Josef Steiner ein Spätberufener, der erst mit 30, nach vielen Jahren als DJ „Frank Stone“ auf Ibiza, eine Ausbildung zum Koch bei Volker Mundel („Mundelkoch“) in Berlin begonnen hat. Damals hatte er seinen eigenen Kochstil noch nicht gefunden, alles erschien neu und spannend. Das änderte sich durch ein Praktikum im Hangar 7 bei Eckart Witzigmann und Roland Trettl in Salzburg: „Da hat es auf einmal Peng gemacht und meine Küchenausrichtung stand fest: einfache, bodenständige Küche, aber die zur Perfektion getrieben.“
Zwar würden die einfachen Gerichte unter Kollegen mitunter belächelt, doch Steiner will die Einfachheit ganz bewusst auf die Spitze treiben, etwa mit dem „perfekten Rührei“, das er für seinen Förderer und Schirmherrn Wolfgang Joop kreiert hat. Neben Joop, den Steiner zufällig am Flughafen kennenlernte, sind der Musiker Helmut Zerlett und Designer Marcel Ostertag weitere prominente Freunde der Mutzenbacher-Restaurants. Entscheidend für die Qualität des Einfachen sind für Steiner die Zutaten, die er zum Großteil aus der nächsten Umgebung beschafft. Das Mehl, das unter anderem für die hausgemachten Germknödeln nach Original Tiroler Almrezept verwendet wird, kommt von der „verrückten Müllerin“ aus Luckenwalde, die auch Mehlverkostungen durchführt. Die Schleien, Zander und Hechte liefert ein Fischer aus dem Krossinsee. Sogar das in der Küche verwendete Wasser stammt aus einem hauseigenen Brunnen.

„Das wichtigste bei den Zutaten ist für mich Geschmack, regionale Herkunft und wesensgerechte Tierhaltung“, beschreibt Steiner seinen Anspruch. „Ich hatte lange kein Schweineschnitzel auf der Karte, weil es entweder ein Mastschwein aus Massentierhaltung war oder teurer war als Kalbsfleisch – beides macht für mich keinen Sinn.“ Aber inzwischen gäbe es auch deutsche Produzenten, die sich weiterentwickeln, beispielsweise vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein. „Das läuft sogar auf der Wiese herum“, sagt Steiner, „denn wenn es schon sterben muss, soll es wenigstens vorher ein Leben gehabt haben.“ Der Gastronom ist sich sicher: Tierlieb und Fleischesser zu sein geht zusammen, man muss es nur richtig machen.
Aufgrund des Qualitätsanspruchs liegen die Preise im Mutzenbacher am See über dem örtlichen Durchschnitt: Kleine Gerichte wie Mini Parmesan Ravioli oder die Blutwurst von der Metzgerei Staroske mit Blumenkohlpüree, Portweinjus und Apel-Sellerie-Salsa gibt es für 8,50 € bzw. 9,50 €. Hauptgerichte wie das Brisket mit Sternanisjus, Spitzkohl und Süßkartoffelcreme oder die warm geräucherte Entenbrust auf Rote Bete-Graupenrisotto und Fenchel-Zitrussalat für 15,00e bzw. 17,00 €. Doch immer mehr Menschen aus Schmöckwitz und dem umgebenden Brandenburg haben Lust auf etwas Neues und nehmen das Angebot des Mutzenbachers an. „Endlich kocht hier mal jemand frisch“ hat ein Gast gesagt, „ jetzt muss ich nicht jedes Mal nach Berlin reinfahren.“

In der anstehenden Wintersaison wird es „Gänse und Enten um die Wette“ geben, eine bombastische Silvesterparty mit zwei Bands und einem kurzzeitigen Comeback von DJ Frank Stone. Um die großen Räumlichkeiten mit zwei separaten Sälen durchgehen zu füllen, setzt Steiner auch auf Weihnachtsfeiern und Diskoabende mit coolen Remixen der 70er- und 80er Jahre-Hits. In diesem Jahr gab es Probleme, weil einigen Campern die Preise des Restaurants zu hoch waren, gleichzeitig veränderten sie durch die lockere Strandkleidung mit Badehose und Flipflops den Charakter des Restaurant. Um die verschiedenen Gästegruppen besser zu trennen, soll zum Sommer nächsten Jahres ein „Beachgarten“ mit einer kleinen Hütte für die Ausgabe von Getränken und schnellen Gerichten wie Currywurst, Flammkuchen und Kitzbühler Chili-Leberkäse speziell für die Camper angebaut werden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung. Verbreitung oder Vervielfältigung auch auszugsweise nur mit Zustimmung des Autors ©OliverNumrich