Als der Architektur- und Designjournalist Andreas Tölke im Herbst 2015 Wohnungen für Flüchtlinge anmietete, ahnte er nicht, dass er drei Jahre später mit ihnen ein Restaurant eröffnen würde. Denn in der Folge der Flüchtlingshilfe lernte er bei zahlreichen Essenseinladungen die Vielfalt und Qualität der levantischen Küche kennen und als ihm dann von der katholischen Kirchengemeinde Sankt Bonifatius in Kreuzberg ein Ladenlokal zur Pacht angeboten wurde, war die Idee zum Restaurant „Kreuzberger Himmel“ geboren. Tölke wollte hier einen Ort der Begegnung schaffen, ideologiefrei und niedrigschwellig, an dem man Flüchtlinge kennenlernen und sich davon überzeugen konnte, „dass es keine Aliens sind.“

Zwei Dinge hat er sich dabei in den Kopf gesetzt: Erstens sollte die Küche so authentisch und abwechslungsreich sein, wie die aktuelle Mannschaft, also syrisch, irakisch, persisch, afghanisch und so weiter. Aber sie sollte vor allem ein hohes Niveau erreichen: „Wir achten darauf, dass es gescheite Produkte sind, die gut verarbeitet werden, das wir auf einem Standard kochen, der zu 80% der 5-Sterne-Hotellerie genügt. Wir sind noch noch bei 100%, aber wir arbeiten daran.“ Man erbringe im Kreuzberger Himmel eine professionelle Dienstleistung und wolle auch an diesen Maßstäben gemessen werden, so Tölke weiter. Auch der Durchschnittsbon ist mit 16€ noch vergleichsweise niedrig – die Leute trinken noch zu wenig, benennt Tölke das Problem, obwohl selbstverständlich auch Alkohol ausgeschenkt wird, darunter Weiß- und Rotwein aus dem Libanon, Crement, Champagner und Biere aus dem Kloster Andechs.
Um diesen Anspruch zu verwirklichen, half ihm die Tatsache, dass unter den Flüchtlingen Profis wie Othman waren, einem gestandenen Küchenchef, der in Syrien ein 32-köpfiges Team leitete. Während das Lokal zwei Monate lang umgebaut wurde., hat Tölke mit Othman hat Tölke die erste Speisekarte entwickelt, Testessen zubereitet und mit befreundeten Gastronomen wie Frank Ketter („Sheraton Esplanade“) oder Heinz Gindullis vom „Cookies“ verkostet. Überhaupt bekam der Kreuzberger Himmel von Anfang an viel Unterstützung: So verlangt die Kirchengemeinde nur eine moderate Pacht von monatlich 4.700 Euro, ein Sponsor gab 80.000 Euro für den Umbau und die Küchenausstattung und auch Prominente wie Barbara Becker und Tim Raue sind Stammgäste des Restaurants.
Die Karte erinnert an den 7. Himmel: jeweils sieben Vorspeisen ab 4,90€, Hauptgerichte ab 10,90€ und Nachspeisen stehen darauf, darunter Mezze-Klassiker Hummus, Baba Ganoush, Saubohnen und gefülltes Fladenbrot. Hauptgerichte sind zum Beispiel das syrischce Festtagsgericht „Kabse“ mit Hähnenfleisch, Mandeln und Cashewkernen (12,90 €) oder das „Gericht der Könige- Sheik al Meshi“ aus mit Lammhack gefüllten Zucchini in Joghurtsauce mit Pinienkerne für 13,90 €. Weil zurzeit mit Ala eine iranische Pattisseurin zum Team gehört, gibt gerade jeden Tag frische Pralinen. „Glauben Sie mir, ich bin weit herum gekommen in der Welt, ich kann es beurteilen: Das ist Sterneniveau“, schwärmt Tölke.

Restaurantleiterin Maria Bauer, 57, ist seit Mai 2018 dabei. Vorher hat sie zehn Jahre lang ein eigesn Restaurant in Berlin-Charlottenburg geführt, Ausrichtung „Weltküche“, erfahrene Gastronomin. 2015 hat sie Restaurant verkauft und sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, in der Kleiderkammer und bei der Essensausgabe. Sie wollte in diesem Bereich bleiben und wurde von einer Freundin auf die Stelle der Restaurantleiterin im Kreuzberger Himmel aufmerksam gemacht. „Herr Tölke brauchte damals Unterstützung für das Führen des Restaurants und das Ausbilden von Mitarbeitern, das passte in jeder Hinsicht“, erinnert sich Bauer. Die Azubis, die Bauer anleitet, stammen vor allem aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Syrien, Iran, Irak, aber auch Afghanistan und Pakistan. Für sie war es anfangs eine Herausforderung, dass es sich um gestandene Männer zwischen 20 und 28 Jahren handelt, die in ihrer Heimat oft schon einen Beruf oder sogar einen eigenen Betrieb hatten und hier wieder bei Null anfangen müssen. „Die Motivation ist echt super“, sagt Bauer, „sie wollen deutsch lernen, etwas eigenes aufbauen und sehen auch in der Ausbildung eine Chance, hier zu bleiben und eigenes Geld zu verdienen.“ Zwar sei die Disziplin unterschiedlich ausgeprägt und auch Pünktlichkeit nicht immer „auf den Punkt“, aber beides kein existenzielle Problem in der Zusammenarbeit. „Wir gehen auf Augenhöhe miteinander um und es gab bisher noch keine Situation, in der ich mich als Frau weniger respektiert gefühlt habe.“ Bei Problemen erteilt sie keine Abmahnungen, sondern sucht das Gespräch. Wichtig ist ihr, das Teamgefühl zu stärken, denn wenn einer zu spät oder gar nicht kommt, muss der Rest des Teams das auffangen. „Ich bewundere die Leute hier, weil sie schon viel Mist erlebt haben und trotz allem meistens einen guten Job machen“, so Bauer.
„Wir bereiten die Leute für eine reguläre Ausbildung vor“, erklärt Tölke, „wir sind ein Durchlauferzhitzer mit zurzeit vier festangestellten Mitarbeitern, sechs Auszubildenen und einem Ring aus Praktikanten, die hier in einem Jahr so viel lernen, dass sie in einem normalen Gatrobetrieb nicht auf die Schnauze fallen.“ Vom Ursprungsteam seien inzwischen bis auf zwei alle weitervermittelt, denn der Bedarf der Berliner Hotellerie und Gastronomie an Fachkräften ist riesig. Von über 50 bisher in die Gastronomie vermittelten Flüchtlingen seien nur zwei wieder rausgeflogen, der Rest habe sich eingefunden. Jeder Abgang eines guten Mitarbeiters ist für den Kreuzberger Himmel einen Verlust, denn schließlich soll das Restaurant ökonomisch funktionieren und Geld für den Hilfsverein „Be an Angel“ einspielen, der sich weiterhin auf verschiedene Weisen um Flüchtlinge kümmert. Doch zugleich freuen sich Bauern und Tölke, wenn es gelungen ist, einen Menschen woanders zu integrieren. Zurzeit besteht das Team besteht aus 14 Mitarbeitern, darunter vier Frauen. „Wir haben sowohl Stockfische und Charmebolzen, Profis und Enthusiasten, die meinen Sie sind der nächste Sternekoch, aber dann reicht es doch nur zur Küchenhilfe“, sagt Tölke.
Für den 58-Jährigen hat sich ein Kreis geschossen: Bevor er Journalist wurde und um die Welt reiste, hat er Sozialarbeit studiert: „30 Jahre Luxusjournalismus waren großartig, aber ich dachte immer: Ich nehme so viel von diesem Planeten und gebe so wenig zurück. Als dann diese Situation kam, hat das für mich gepasst.“
In Zukunft soll das Catering-Geschäft noch ausgebaut werden, außerdem gibt es die Option auf einen zweiten Laden in Kreuzberg, in dem er einen vegetarisch-veganen Mittagstisch anbieten möchte. Und mit etwas Glück kann der Verein in den nächsten Monaten einen alten Gutshof an der Ostsee übernehmen und dort ein Hotel mit 21 Zimmern einrichten, das von Flüchtlingen betrieben wird.
Mehr Informationen unter www.kreuzberger-himmel.de
Autor: Oliver Numrich. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er erschien zuerst in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung.