Sommelière ohne Allüren: Jaqueline Lorenz vom PRISM

Viele Sommeliers überfordern ihre Gäste, wenn sie mit scheinbar grenzenlosem Detailwissen über extravagante Winzer, exklusive Lagen und herausragende Jahrgänge schwärmen. Jaqueline Lorenz, Sommelière im Berliner Fine Dining Restaurant PRISM tut das nicht, denn ihre Liebe zum Wein braucht keine Prätention. Ungezwungene Gastfreundschaft steht bei ihr an erster Stelle; mit Aufmerksamkeit, menschlicher Wärme und Professionalität sorgt sie für die passende Atmosphäre für die achtgängigen Menüs ihres Lebensgefährten Gal Ben-Moshe. Inzwischen wurde sie im ARAL Schlemmeratlas zu die 50 besten Sommeliers in Deutschland gezählt, belegte den 2. Platz beim VDP Traubenadler und ist aktuell als „Berliner Gastgeber 2109“ im Rahmen der Berliner Meisterköche nominiert.

Dieser Aufstieg war alles andere als vorgezeichnet, und doch haben alle Stationen dieses gewundenen Lebensweges in der Nachbetrachtung ihren Anteil am Erfolg. Für die Kommunikationsfreude und Zugewandheit der gebürtigen Berlinerin bedeutsam waren die zwei Teenager-Jahre in Orlando, Florida. Danach die Erkenntnis aus zwei Semestern Politik- und Medienwissenschaften in Marburg: Uni ist nicht das richtige. „Die Vorlesungen im großen Auditorium waren schrecklich, weil ich persönliche Bestätigung brauche“, sagt Lorenz rückblickend, „es bringt mir einfach nichts, dem Professor die 500. Hausarbeit auf den Stapel zu legen.“ Nach dem Abbruch ist sie mit gesenktem Haupt nach Berlin zurück gekehrt und wieder in die elterliche Wohnung gezogen. die Mutter piesakt: „Du kannst jetzt nicht hier rumsitzen und über den Sinn des Lebens nachdenken. Menschen mögen Dich – geh ins Hotel!“

Und tatsächlich macht sie 2007 erst das zunächst übliche, unbezahlte Praktikum und beginnt im Anschluss eine Ausbildung zur Hotelfachfrau im art’otel Berlin-Mitte. Damals schwor sie sich: Niemals werde ich in einem Restaurant arbeiten! Denn Hotelrestaurants entsprechen nach ihrer Meinung allzu häufig nur den niedrigen Erwartungen seiner Gäste. „Hotelrestaurants sind meist die bequeme Alternative, die aus einer Negativ-Abwägung heraus besucht werden: Ich habe jetzt keinen Lust mehr, woanders hinzugehen – hoffentlich ist die Küche halbwegs okay.“ Diesen und weitere Schwüre sollte sie einige Jahre später der Reihe nach brechen. Allerdings, betont Lorenz, seien eigenständige Restaurants wie das prism etwas ganz anderes. Hier sei das Essengehen eine Positiv-Entscheidung für eine Küche, für eine Abendgestaltung und dadurch Einstellungen und Erwartungen des Gastes ganz andere.

Dem Gast nie „Nein“ sagen, auch wenn es eine Herausforderung ist

Nach der Ausbildung war sie im Housekeeping tätig („Ich fand die Arbeit im Hintergrund“ so angenehm“) und wechselte dann von der Vier-Sterne- in die Fünf-Sterne-Hotellerie, weil es hier mehr Personalkapazitäten gibt, um dem Gast auch besondere Wünsche zu erfüllen: „Ich mochte es nicht, wenn ich dem Gast „Nein“ sagen musste. Im Fünf-Sterne-Haus heißt es „Ja, machen wir, kriegen wir irgendwie hin“. Den Gedanken, niemals nein zu sagen, fand sie gerade dann spannend, wenn es logistisch für große Herausforderungen gesorgt hat. Die Position des Housekeeping Supervisors bekleidete sie erst im Adlon, dann im Hotel de Rome. Jaqueline Lorenz Tochter Amelie ist zwei Jahre alt, als zwei Männer in ihr Leben treten und einer geht: Sie wurde Mutter der Zwillinge Tyler und Cody und der Vater der drei Kinder verlässt die Familie.

Nun war sie plötzlich alleinerziehende Mutter. „Ich habe an meinem 30. Geburtstag entschieden, dass sich an der Situation etwas ändern muss und mich bei einem Datingportal angemeldet“, sagt Lorenz, „denn wenn man drei Kinder zuhause hat, kann man nicht mal eben als Single in die Bar gehen.“ Der Zufall wollte es, dass Gal Ben-Moshe, mit 16 Gault-Millot-Punkten bekränzter Koch des GLASS, auf derselben Onlineplattform suchte, die Angabe „3 Kinder“ einfach überlas und sich die beiden kurze Zeit später gegenüber saßen. „You know I’m kind of famous“, gestand er ihr, die mit Fine Dining bis dato nichts zu tun hatte, und sie antwortete mit der typischen Berliner Schnauze „You can’t be that famous, because I never heard from you.“

Von da an wurden viele weitere Schwüre abgegeben und nach einiger Zeit wieder gebrochen, etwa „Ich werde niemals im selben Restaurant wie mein Mann arbeiten“ oder „Ich werde Dich niemals fragen, bei mir im Lokal auszuhelfen“, oder auch „Ich werde niemals für Dich Reservierungen annehmen und den Papierkram erledigen“.  Lorenz hat dann geschmunzelt und in den „I told you so“-Modus gewechselt. Anfangs war sie nur am Wochenende als Runner tätig, hat Teller gebracht, Tische abgeräumt, Besteck poliert. „Das ist eines der Dinge, die Gäste immer noch schätzen, dass ich erstaunlich ego-frei bin“, gibt sie freimütig zu, „ich bin mir für nichts zu schade, das war schon im Hotel so – warum auf das nächste Zimmermädchen warten, wenn ich hier einen Schwamm und Putzmittel habe?“

Gal Ben Moshe / Prism 2018
Gal Ben Moshes „Prism“-Restaurant in Berlin.

Bei Bacharacher Wolfshöhle hat es Klick gemacht

Fine Dining stellte sich als etwas heraus, für das sie perfekt vorbereitet war: Den Gästen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und ihnen drei, vier Stunden lang Genuss und Entschleunigung zu bieten. „Wir begegnen unseren Gästen auf Augenhöhe, denn sie wissen, dass sie uns brauchen, um das, was sich die Küche ausdenkt, verständlich zu machen“, sagt Lorenz, „gerade bei den ungewöhnlichen Rezepten und Zutaten, die Gal verwendet, bedarf es eines Rahmens und eines Dialogs mit den Gästen.“ Der Service sei dafür da, die anspruchsvolle Kulinarik nahbar zu machen, die Schwelle zu senken statt sie noch höher zu schrauben. Das gelänge eben am besten, indem sich der Service zurück nimmt. Service sei eben auch Psychologie: „Wir müssen ohne Worte herausfinden, was die Menschen wollen: Wollen sie alles bis ins Detail erklärt haben, brauchen sie nach jedem Gang einen Dialog, oder sind es Gäste, die eigentlich in Ruhe gelassen werden wollen?“

Auf den Wein trifft das für Jacqueline Lorenz ebenso zu: Auch die Weinbegleitung muss sich anpassen und auch hier dürfe wohl ein Rahmen gesetzt, aber keine persönlichen Geschmacksvorstellungen projiziert werden. „Ich will, dass meine Gäste ihrem eigenen Geschmack trauen und sich nichts einreden lassen.“ Wein hat in Berlin – anders als Bier – keine große Tradition. Lorenz selbst war bis 2015 keine Weinliebhaberin, doch dann kam das Erweckungserlebnis in Gestalt eines 2006er Bacharacher Wolfshöhle vom Weingut Ratzenberger Mittelrhein. „Es war das erste Mal, dass ich im Erwachsenenleben meine Nase bewusst in das Glas gehalten habe, getrunken und dann hat es irgendwie Klick gemacht. Ich erinnere mich bis heute an getrocknete Aprikose und Pfirsich.“

Damals hat sie das erste Mal überhaupt verstanden, dass Menschen so komplexe Aromenbeschreibungen abgeben, eine Beschreibung über Wein geben konnte. „Bis dahin dachte ich immer: Die spinnen doch alle, die denken sich was aus. Dabei ist Wein kein Kuriosum für die oberen fünf Prozent der Gesellschaft, sondern einfach unendlich emotional und  magisch.“ Danach trank sie ein Jahr lang ausschließlich Riesling Feinherb und hat sich von dort aus weitergearbeitet zum trockenen Ausbau und erst danach angefangen, Rotwein zu kosten. Die Entdeckungsreise wurde durch den Umstand erleichtert, dass im Restaurant ihres Partners stets die besten Tropfen bereitstanden. „Ich bin ungelogen immer mit der Weinflasche in die Küche gerannt und habe Gal gefragt „Was ist jetzt das Besondere an dem Wein und warum servieren wir den zu diesem Gang?“

Als dann der Sommelier das Restaurant verließ, wurde die Leidenschaft endgültig zur Berufung und Jacqueline Lorenz offiziell zur Sommelière des GLASS. „Mein größtes Anliegen ist es nicht, auf Wein-Gigs über die verschiedenen Villages-Klassifikationen im Burgund zu fachsimpeln, sondern mir macht es Spaß, mit Menschen zu sprechen, die sich mit Wein nicht gut auskennen“, sagt Lorenz, „und wenn jemand sich nicht auskennt, dann sage ich: das ist kein Problem, ich war vor fünf Jahren auch da, wo sie jetzt sind – wir arbeiten uns da durch.“ Angesichts von 230 verschiedenen Positionen auf der Weinkarte des PRISM eine Aufgabe, die einige Zeit in Anspruch nehmen kann.

Von Tasting Notes zu ihren Weinbegleitungen hält sie nichts, denn dann würden sich die Gäste nur darauf konzentrieren, die vorgegebene Noten zu schmecken und das eigene Geschmacksempfinden vernachlässigen. Das ominöse Spezialvokabular helfe nicht gerade dabei, Menschen den Zugang zum Weingenuss zu erleichtern. Heute konzipiert sie mit ihrem Mann die Weinbegleitung zu seinen Menüs gemeinsam – irgendeinen Vorteil muss es schließlich haben, wenn man ständig zusammen ist. Gal Ben-Moshe ist dabei aufgrund seiner Pairing-Kenntnisse schnell auf einen bestimmten Wein fixiert, sie deutlich liberaler. Zurzeit wird das Menü nur von levantischen Weinen aus dem östlichen Mittelmehr begleitet wie Israel, Palästina, Syrien, Griechenland und dem Libanon. Dorthin, das ist der feste Vorsatz für dieses Jahr, möchte sie unbedingt reisen und Weingüter besuchen. „Diese Herkunftsregion ist in der Fachliteratur vollkommen unterbelichtet, obwohl die Menschen dort schon 1.200 Jahre länger Wein anbauen als wir in Europa.“

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