Das Sljiva ist ein typisches Belgrader Bistro, das die authentische serbische Küche zelebriert, nach Originalrezepten mit heimischen Zutaten kocht und Wein aus der Region anbietet. Allerdings befindet sich das Sljiva nicht in Belgrad, sondern in der Arminius-Markthalle in Berlin-Moabit. Seine Betreiberin Kathleen Potter stammt aus Sachsen-Anhalt und hat mehrere Jahre in Belgrad gelebt und dort ihren Mann kennengelernt, den Gastronomen Vladimir Kosic, der in Berlin-Prenzlauer Berg das Spezialitätenrestaurant für Fisch und Meeresfrüchte „Lesendro“ betreibt.
Die Einrichtung des Bistros ist bunt zusammengewürfelt: Der Tresen verkleidet mit blau gestrichenen Holzdielen, die seitliche Rückwand zum Supermarkt verziert mit einer raumgreifenden Zeichnung Belgrads, das die befreundete Künstlerin Valentina auf Grundlage von Google Maps angefertigt hat. Die 35 zur Verfügung stehenden Sitzplätze bestehen aus 35 verschiedenen Stühlen, die Kathleen Potter einzeln auf Flohmärkten und bei ebay erworben hat. Von dort stammen auch die verschiedenen Oma-Teller mit Goldrand. Über den Stuhllehnen hängen Felle, weil es in der Markthalle im Winter kühl wird. „Ich wollte diesen typschen Berlin-Style reinbringen,“, erklärt die 42-Jährige, „ein bisschen rustikal, ein bisschen „shabby chic“, auf jeden Fall nicht so gediegen und spießig wie die typischen „Dalmatien“-Restaurants.“ Dieser Anspruch, traditionsbewusst und dennoch modern zu sein, setzt sich auch und gerade in der Küche des Sljiva fort. So steht bei Kathleen Potter, die Serbisch gut versteht, aber schlecht spricht, die Balkanpasta „Bmlinzi“ auf der Karte, die sie nach einem lange verschollenen Familienrezept vor Ort herstellt. Vieles hat sie sich selbst beigebracht, anderes im Restaurant ihres Manne abgeschaut. Nach wie vor liest sie viele Kochbücher und Zeitschriften und schaut serbischen Großmüttern beim Kochen auf YouTube zu.

„Meine Küche ist bodenständig, aber nicht so fett wie die traditionelle serbische Küche“; beschreibt es Potter. Vorspeisen wie den Sopska Salat, fünf Pflaumen im Speckmantel mit Schafskäse oder ein Rote-Beete-Carpaccio mit Rucola, Nuss und Balkankäse gibt es ab 6 bzw. 8 Euro. Als Hauptgerichte wird beispielsweise angeboten eine Kalbszunge in Meerrettich-Mousse mit Rote-Bete-Salat für 11 Euro, Gegrillter Truthahn mit Mlinci in Käse-Sahnesauce für 15 Euro oder Gegrillter Oktopus mit Paprika, Zucchini und Kartoffeln für 18 Euro. Weitere wegen ihrer Besonderheit zu erwähnende Gerichte sind der Fischeintopf aus Belgrader Süßwasserfischen wie Karpfen oder Zander mit Mlinci für 14,50 Euro, den Klassiker „Karadjordjeva“, das nach einem serbischen Nationalhelden benannt ist: ein mit Speck, Mascarpone und Kajmak (serbischer Schmand) gefülltes und gerolltes Schweineschnitzel mit Kartoffeln, Gewürzgurke und Tatarsauce für 16 Euro. Ein Gericht, das sich Kathleen Potter ausgedacht hat, findet man gleich zweimal auf der Karte: Das deftige „Sexy Pie“ gebacken aus Filo-Teig, der Baklava ähnelt, und gefüllt wird mit Ziegenkäse, Walnüssen und Roter Beete (8 Euro). Und das süße „Sexy Pie“, in dem wiederum Ziegenkäse und Walnüsse verarbeitet sind, aber mit Feige und Ahornsirup im Filoteig gebacken werden (7 Euro). Der Name leitet sich von der länglich-phallischen Form des Gebäcks ab.

Ursprünglich sollte es keine Cevapcici im Sljiva geben, weil Kathleen Potter fand, dass die Hackwürstchen nur noch ein Klischee sind, ein Vorurteil über die serbische Küche, die den Blick auf ihre viel komplexeren Gerichte versperrt. Doch zum einen werden sie eben von den Kunden erwartet und zum anderen hat Kathleen Potter einen Weg gefunden, sie so authentisch herzustellen, dass sie vom Klischee wieder zu einem Original wurden. Dafür war auch ein Praktikum im Belgrader Restaurant „Kovač“ wichtig, das einem befreundeten Gastronomen gehört. Hier hat sie viel gelernt über das richtige Mischungsverhältnis von Rind zu Lamm, wieviel zerstoßenes Eis dem Fleisch beim Verrühren beigemengt werden muss und wie sich die Gewürze zusammensetzen. Zum Abschied schenkte er ihr die originale Metallform für das Herstellen der Cevapcici – eine wichtige Grundlage für das eigene Lokal in Berlin. Einen Rat gab der Mentor ihr mit den Weg: „Mach nicht immer alles so aufwändig, bereite mehr vor.“ Denn alles frisch zuzubereiten sei viel zu zeitintensiv.
Doch die Mahnung blieb ungehört „Ich möchte dabei bleiben, denn die Frische macht meine Küche aus. Außerdem liebe ich die Herausforderung, wenn das Haus voll ist, den Ablauf in der Küche perfekt zu organisieren.“ Zu den „Cevap’s“, wie Potter sie abkürzt, serviert sie serbischen Bergkäse und Ajvar. Im Herbst wird die Schwiegermutter wieder Paprika kochen, schälen und zubereiten denn auch das Ajvar ist meistens hausgemacht. Inzwischen kommen immer mehr der in Berlin lebenden Mitglieder der serbischen, kroatischen, bosnischen und montenigrinischen Community ins Sljiva, vor allem die jüngeren. Einige behaupten, Kathleen Potter mache die besten Cevaps außerhalb des Balkans. Dazu werde passende Weine aus der Region und Österreich angeboten, etwa ihr roter Hauswein „Nostalgia Aleksic“ (5,5 €/20 €) oder der noch schwerere, in Barriquefässern gereifte Temet Ergo ( 8 € / 49€).
Die über 100 Jahre alte Arminiushalle gilt als „nice quit experience“, als ein traditioneller Ort, an dem sich die Nachbarschaft versammelt, um günstig zu essen und Wein zu trinken. Neben dem serbischen Sljiva gibt es Stände mit Küchen vom Elsaß bis Peru. Die Moabiter Markthalle hat sich für einen anderen Weg entschieden als etwa die Markthalle Neun in Kreuzberg, die unter Gourmets aus der ganzen Welt bekannt ist, aber in die sich wegen der hohen Preise kaum noch Anwohner verirren. Unter den Gastronomen in der Arminiushalle herrscht eine überaus freundschaftliche, kollegiale Atmosphäre. Man unterhält sich, kostet bei den Nachbarn und hilft einander aus, wenn mal etwas fehlt. „Die Konkurrenzsituation führt zu einem guten Qualitätsanspruch bei allen Läden“, sagt Kathleen Potter, „wenn es nicht schmeckt, gehen die Gäste zum nächsten Stand.“ Der direkte Nachbar „Schmarrnkaiser“ offeriert österreichische Küche und wenn es von dort herüber duftet, steht Kathleen Potter am „Bettelfenster“ und hofft auf einen Probierteller.
Weil es so gut läuft, hat Kathleen Potter mit ihrem Mann noch einen zweiten Stand am hinteren Eingang übernommen, und baut ihn im Sommer zu einer Tapas-Weinbar mit Balkan-Weinhandlung um.