Vini Vidi Vici: Die Kurpfalzweinstuben haben sich neu erfunden

Wie modernisiert man eine gastronomische Institution, die seit über 80 Jahren am selben Ort besteht und in der schon prominente Gäste wie Hans Albers, Helmut Kohl oder Klaus Wowereit verkehrten? Und wie erhält man ihren nostalgischen Charme, aber verjüngt und verbreitert zugleich das Stammpublikum? Vincenzo Berényi und Sebastian Schmidt ist dieses Kunststück mit den „Kurpfalz Weinstuben“ gelungen! Weil beide Meister ihres Faches sind und im rechten Moment genug Wagemut aufbrachten, der eigentlich Leichtsinn war. Kürzlich wurde über das Lokal im „Feinschmecker“ berichtet und jetzt wurde es zum „Gerolsteiner Weinplace“ gekürt.

Die Kurpfalz Weinstuben wurden 1935 von Bruno und Enne Müller in der Wilmersdorfer Straße 93 eröffnet, von 1975 bis 2015 führte der Gastronom Rainer P. S. Schulz das „Pfälzer Dorf in Berlin“ und übergab es 2015 an den Sommelier und Bonvivant Vincenzo Berényi. Der neue Inhaber renovierte das Lokal innerhalb von nur vier Wochen eigenhändig und baute Behinderten-WC wie Kaminzimmers ein und erneuerte die Stromversorgung. „Der Handwerker meinte, er könne für die Plundograd-Elektrik nicht die Verantwortung übernehmen, deshalb habe ich eben selbst mit der Doppelfräse die Wände aufgesägt und neue Kabel verlegt“, erzählt Berényi.

Auch das überbordende Dekor aus Hirschgeweihen und Bacchus-Nippes wurde ausgedünnt: „Es sollte mehr Leichtigkeit rein und dafür musste ein Teil vom Rümpelpümel weg.“ Auch die vielen Schilder, die Rauchen oder Telefonieren untersagten, sind auf dem Müll gelandet. „Wenn ein Gast zu laut telefoniert, empfehle ich ihm unseren Vorraum als Telefonzelle“, sagt Berényi, „man muss als Gastgeber auch nicht jede Klippe umschiffen und nur amorph sein – man kann auch offen mit den Gästen reden.“

Direkt nach der Übernahme ist der Umsatz eingebrochen. „Die Einnahmen waren so gering, dass wir nur geheult haben: 11.200 Euro brutto im Monat bei 26 Öffnungstagen!“, erinnert sich Vincenzo Berényi. Die Stammgäste haben jede Veränderung genauestens registriert, viele haben sich beschwert „Was habt ihr aus unseren Weinstuben gemacht!“ Menschen, gerade Deutsche, mögen eben keine Veränderungen. Aber mit der Zeit haben sich die alten Gäste angefreundet und die modernisierte Schoppenstube hat neue gewonnen.

Vincenzo Berényi, von allen nur Vini genannt, ist ein Cuvé, wie er wohl nur in Berlin serviert wird: temperamentvoll, unbändig, intensiv, mit ungarisch-jüdischen und italienisch-österreichischen Anteilen, geboren oder „ausgestiegen“ wie er sagt, im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Schöneberg. Bevor er die Weinstuben übernahm war er als Sommelier in verschiedenen Häusern und als freier Weinberater tätig. „Vini ist unser Aushängeschild“, sagt auch Kompagnon und Küchenchef Sebastian Schmidt, „für die Gäste er ist nicht nur Sommelier, sondern auch Conférencier und zuständig für die Abendunterhaltung.“ Die Arbeitsteilung der beiden ist offensichtlich: Vini wirbelt und Schmidt behält einen kühlen Kopf, Vini ist die Frohnatur, Schmidt der Apokalyptiker.

Angeboten werden 50 offene und 800 Flaschenweine. Von den rund vorrätigen 1.200 Flaschen werden täglich etwa 90 verbraucht. „Ich habe eine Standleitung zur Stadtreinigung“, klagt Berényi, „weil sie täglich unseren Glascontainer leeren müssten, aber nicht immer kommen.“ Auf der Schoppenkarte finden sich neben Pfälzer Weinen etwa von den Winzern Gabel, Petri oder Kimich (Schoppen ab 6,90€) auch Weine aus den Anbaugebieten Nahe, Rheinhessen und Franken. Einige offene Weine werden als Pfiffchen (0,1 L) ab 4,30€ ausgeschenkt. „Das macht eine Weinstube aus, dass Du eine Flasche großartigen Grauburgunder von Thüngersheimer Johannisberg von 2016 für 20,70 € haben kannst“, schwärmt Vini über sein eigenes Angebot. „Oliver Gabel vom Weingut Gabel füllt seinen Weißburgunder nur für uns in einer Magnumflasche ab, dadurch reift der Wein bei uns im Keller ganz anders.“ Für so eine Spezialität brauche man Beziehungen zum Winzer, denn die könne man nicht mal eben per Telefon oder E-Mail. bestellen.

Sebastian Schmidt kreiert in der kleinen Küche (15,9qm inklusive Spülküche) hochwertige deutsche Gerichte, darunter viel regionales, aber immer mit einem Twist. Als Vorspeisen zum Beispiel Salat vom sous vide gekochtem Kalbsherz mit gebratenem Bries, mariniertem Rettich und Radieschenpesto oder ein halbes Dutzend schwäbischer Weinbergschnecken in Riesling-Knoblauch-Butter (je 9,90 Euro). Dabei handelt es sich nicht um „günstige Achatschnecken aus der Dose“, wie Vini betont, sondern um Freilandschnecken, die im Familienbetrieb von Monika Samland drei Jahre lang mit Salat und Wiesenkräutern aufgepäppelt und in der eigenen Küche aufwändig zubereitet werden. Zu den Schnecken reichen sie selbst gebackenes Baguette, zu Winzervesper oder Käseteller selbst gemachtes Berliner Landbrot, denn Vini ist bekennender Brotfetischist. „Unser Sauerteig hatte gestern Geburtstag – er ist zwei Jahre alt geworden“, schwärmt er und bringt zum Kosten ein paar Scheiben vom grünen Petersilienbrot, das mit Spirulinaalge gefärbt wurde.

Als Hauptspeisen werden beispielsweise Milchkalbsleber in Madeirajus mit Perlzwiebeln und confiertem Rhabarber und Püree von jungen Erbsen oder Beelitzer Spargel mit Hollandaise, Koch- und Südtirolerschinken und Frühkartoffeln angeboten (je 19,90 €). Als Nachtisch gibt es ein Kokosnuss-Chiboust oder Mango-Himbeer-Kompott (je 7,90€). Auch die heimische Küche ist präsent, etwa mit Berliner Frikassee oder Königsberger Klopsen. „Frikassee hört sich profan an, aber wir separieren die Komponenten“, erklärt Sebastian Schmidt, „ob Pfifferling, Spargel, Karotte, der Gast kann es selbst neu zusammensetzen.“

Der Umsatz wird je zur Hälfte mit Speisen und Getränken gemacht. In fünf Jahren sollen laut Plan die Verbindlichkeiten getilgt sein. „Wir planen so viel Umsatz, dass wir unsere Mitarbeiter und unsere Lieferanten gut bezahlen können und wir selbst auch einmal über dem Mindestlohn liegen und etwas mehr freie Zeit haben.“ Bisher ist nur der Montag Schließtag, aber dann werden Dienstpläne geschrieben, Buchhaltung erledigt und Verkostungen durchgeführt.

Double Seating, um den Umsatz zu erhöhen, lehnen beide grundsätzlich ab, denn es widerspricht ihrer Vorstellung von Gastlichkeit, deshalb wird generell platziert. „Aber wir gestalten sinnvoll, zum Beispiel Reservierung um 20 Uhr statt 19 Uhr“, so Vini. Außerdem hält er immer einige Plätze für die Stammgäste frei, zu denen nicht nur der ehemalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit gehört, sondern gerade am Sonntagabend die Köche der nahe gelegenen  Sternerestaurants. „Bei uns können sie sich die Weine leisten, die sie selbst auf der Karte haben“, kokettiert Vini.

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