Das Crackers ist das materialisierte Berlin-Gefühl: zugänglich nur durch eine unscheinbare Seitentür von der Friedrichstraße, kommt der Gast von hinten durch die Küche in einen großen, hohen, fensterlosen Gastraum, der zu DDR-Zeiten ein Kino, dann Hotellager und später der berühmte Technoklub „Cookies“ war. Seit 2014 befindet sich hier das Restaurant: Am Kopfende ist jetzt die Bar, daneben das DJ Pult, davor rund 85 Sitzplätze mit türkisfarbenen Polstern und gelben Stahlfüßen. Die Musikanlage stamm noch aus Klubzeiten und an Wochenenden und zu Events etwa anläßlich der Fashionweek oder der Berlinale legen DJs wie auf Marc-Alan Gray, Hanshee oder Danny Russel. „Das hier ist mein Wohnzimmer, mein Atelier, meine Bühne, alles in einem“, sagt Küchenchef Dean Sprave mit ansteckender Euphorie. „Unsere Idee von Hospitality ist, dass wir jedem Gast ein tolles Erlebnis bieten wollen, egal ob das ein Modedesigner ist oder ein Start-up-Milliardär oder ein ganz normaler Tourist mit Regenjacke, der uns gerade am U-Bahnhof zufällig in der Open-Table-App gefunden hat.“
Der erst 27 Jahre alte Sprave geriet selbst rein zufällig in den Kosmos der Cookies-Familiy, zu der auch das benachbarte vegetarische Sterne-Restaurant Cookie Cream, die Data Kitchen und ein Eventcatering gehören. Eigentlich kam er im Anfang 2017 nur nach Berlin, um nach Abschluss der Ausbildung in ein paar renommierte Hauptstadtküchen reinzuschnuppern. Doch bevor er eines der avisierten Praktika antreten konnte, hatte ihn sein Vater schon an einen Bekannten vermittelt: Heinz „Cookie“ Gindullis. Der suchte zu der Zeit einen Aushilfskoch und Dean stimmte zu, ein paar Schichten zu übernehmen. Dass er es im Crackers, das vom Gault-Millau mit 14 Punkten ausgezeichnet ist, innerhalb weniger Jahre zum Küchenchef bringen würde, kann er heute noch nicht recht fassen. „Ich habe nie an die Karriere gedacht, nichts geplant, es hat sich immer alles super ergeben“, sagt er.
Zunächst wollte Dean Musikjournalist werden und studierte zwei Semester Journalismus und Germanistik an der TU Dortmund. Doch es stellte sich heraus: das viele Stillsitzen am Schreibtisch ist nicht seine Sache. „Mir liegt eher die aktive Arbeit, ich brauche Bewegung, muss was tun.“ Und weil in seiner Familie bis hin zu den Großeltern schon immer alle gern gekocht haben, entschied Dean sich für eine Kochlehre. „Natürlich hatte ich damals, als Jamie Oliver im Fernsehen lief, ziemlich romantische Vorstellungen vom Kochen – es war immer alles schon vorgeschnitten und man musste nie abspülen.“
Die Küchenrealität lernte er während der Lehre im Hotel und Restaurant „Haus Overkamp“ in Dortmund kennen, einem 300 Jahre alten Familienunternehmen, zu dessen 30-köpfigen Küchenteam stets ein halbes Dutzend Azubis gehören. „Ich hatte wirklich Glück mit diesem tollen Ausbildungsbetrieb“; sagt Dean, „denn ich habe dort von der Pike auf das klassische Handwerk erlernt – ich kann kellnern inklusive Servietten falten und Besteck polieren, aber auch richtig kochen.“
Dieses Handwerkszeug sei auch heute die Grundlage seiner Arbeit und des inklusive Prepchef, Azubis und Spülern zwölfköpfigen Küchenteams, das mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren sehr jung ist. Kreativität basiere letztlich auch auf dem handwerklichen Können. „Ich muss mich auf die anderen verlassen können, auf ihre ganze Grundeinstellung zum arbeiten, deshalb ist mir auch Pünktlichkeit extrem wichtig“, sagt Dean Sprave, „denn wenn jemand zu spät kommt, dann gibt es keinen Platz mehr für Spaß, dann herrscht Stress.“
Auch sein 18-jährige Azubis musste den Unterschied lernen zwischen Arbeit und Spaß mit Freunden: Auch wenn sich die Gäste amüsieren, dürfe man eben nie mittrinken oder gar mitfeiern. „Im Fernsehen wird Kochen oft wild dargestellt wie Piraterie, aber das kann man sich eben erst erlauben, wenn alles andere gut kontrolliert läuft.“
Wenn das Crackers voll ausgelastet ist können bei einem doppelten Seating und gleichzeitiger Belegung des separaten „Private Dining Rooms“ 220 Personen am Abend verköstigt werden. „Das ist dann Krieg, aber die Küche ist dafür ausgelegt und wir schafft das, weil wir gut organisiert sind“, sagt Dean Sprave, „für uns ist das die Party, wenn ein Teller nach dem anderen perfekt geschickt wird.“
Die kulinarische Ausrichtung des Crackers: Soulfood, bei dem man sich wohl fühlt: hochwertige Zutaten, scheinbar einfache, nicht zu „verkopfte“ Gerichte mit einem Twist. Sprave beschreibt seine Küche als „komplett anders“ zu der seines Vorgängers Daniel Lengsfeld, der jetzt ein eigenes Restaurant im Rheinland eröffnen möchte (siehe www.eigelsteyn.de). „Er kommt aus asiatisch Ecke von Tim Raue und ich bin eher ein Naohster und Südamerikaner“. Sprave greift aber ebenso gern auf persönliche Geschmackserinnerungen aus Deutschland zurück und passt sie an das Niveau und die Erwartungen der Gäste an. Dabei kommt so etwas heraus wie der Feldsalat mit einem klassischen Saure-Sahne-Dressing, aber verfeinert mit Meerrettich und karamellisierten Zitronenzesten (9,00 Euro). Den jahreszeitlich evozierten Grünen Spargel richtet er mit Ziegenkäse, Oregano und Macadamia-Nüssen an (16 Euro). Anders als im Cookies Cream werden im Crackers auch Fisch und Fleisch serviert, etwa ausgelöster Hummer mit Limette, Rübe und Kumquat für 40 Euro (halber) bzw. 75 Euro (ganzer) oder die Brust vom französischen Schwarzfederhuhn mit Aubergine und Jalapeno, Kaninchenrücken mit Cashew, Aprikose und Heu (beide 28 Euro) oder gegrilltes Dry Aged Entrecote (28 Euro für ca. 250 Gramm) oder Dry Aged Prime Rib (10 Euro pro 100 Gramm) aus Freilandhaltung in Mecklenburg-Vorpommern.
Alle drei Wochen werden Bestandteile der Karte ausgewechselt, so dass sich nach rund zwei Monaten die Karte komplett erneuert hat. Das erfordert viel Bildungsarbeit beim Team, damit der Gast auch weiß, was der Koch sich bei der Kreation gedacht hat. Damit sie es leichter haben, drehen Dean und Sommelier Kevin Kichere für den Service immer ein Video, in dem sie die neuen Gerichte und passende Weine vorstellen.
Das Restaurant hat täglich ab 18:30 Uhr geöffnet, die Küche macht um 23 Uhr unter der Woche und um 24 Uhr am Wochenende Schluss. Sprave ist schon vormittags vor Ort, eigentlich sollen Sonntag und Montag seine freien Tage sein, aber das klappt nicht immer. „Natürlich ist es ein physisch anstrengender Job, man muss irgendwo vom Ehrgeiz getrieben sein, um das auszuhalten.“
Was kommt als nächstes? Kürzlich wurde das Crackers als Szenerestaurant 2019 im Rahmen der Berliner Meisterköche nominiert. „Mal gucken, wo es hingeht“, sagt Sprave mit freudiger Erwartung, „bisher ist jedes Jahr etwas tolles passiert, womit keiner gerechnet hat.“ Oliver Numrich
Bildnachweis: Crackers Berlin / ©Daniel Reiter