ahgz: Lieber Herr Nierhaus, Sie beleuchten auf der Ambiente die neusten Trends in der Gastronomie. Was ist das entscheidende Modestück bei der Tischdekoration in der kommenden Saison?
Pierre Nierhaus: Der Tisch st immer ein Gesamtkunstwerk. Dass die Gäste heute ein Foto davon machen, liegt an einem gesellschaftlichen Wandel: Früher war der Besitz das entscheidende, heute ist es das Erlebnis. Die Netzwerker, die Millienals, definieren sich nämlich nicht mehr über den Besitz, sondern über Erlebnisse. Das muss so gut sein, dass ich es dokumentieren will. Dafür braucht man eine Inszenierung, da dürfen die Spaghetti Carbonara nicht auf dem weißen Teller und Zwiebelrostbraten nicht auf einem brauen Teller serviert werden! Sie brauchen einen guten Kontrast von Gericht und Teller.
ahgz: Dienen Geschirr und Dekoration nur der richtige Inszenierung?
Pierre Nierhaus. Ein Restaurant wird nicht allein durch Bilder definiert, sondern ebenso durch die Speisen. Beim Inder oder Asiaten stehen Dinge auf dem Tisch, die mich mit der Story des Restaurants verbinden: kleine Schälchen, exotische Gewürze und so weiter. Als Gastronom sehe ich auf meinem Instagram-Profil, wie oft Bilder davon veröffentlicht und geliked und daran kann ich ablesen, ob es funktioniert. Wenn es langweilig ist, dann sieht es keiner. Instagram-Fotos werden heute Lust in einer Geschwindigkeit durchgeschaut – nur wenn jemand auch draufklickt, dann fanden sie es wirklich gut.
ahgz: Welche Inszenierungen finden Sie als gelungen?
Pierre Nierhaus: Eines der spannendsten Gerichte, die ich in letzter Zeit fotografiert habe, stammt aus einem Berliner Restaurant. Das war ein ganz einfaches Gericht, aber durch einen dunklen Teller und verschiedene Sprenkel wurde es superspanend. Der Teller und das Drumherum müssen instagramable sein. Dafür brauche ich eine Story und Kontext. Da sind im Zubehörhandel viele Dinge zu finden, wie ich als meinen Tisch inszenieren kann.
ahgz: Zahlt sich eine aufwändige Dekoration überhaupt für den Gastronomen aus?
Pierre Nierhaus: Die Inszenierung wirkt wie früher Guerilla-Marketing. Während früher große Werbebudgets eine Rolle spielen, kann man jetzt mit kleinen, kreativen Ideen, die im Netz gut ankommen, viel erreichen. Der Individualgastronom hat dadurch Vorteile gegenüber den Ketten. Wenn ich auf Social Media mit der Sonnenalb oder einem kleinen Hotel in Frankfurt befreundet bin, dann ist das viel charmanter, als wenn ich dem Intercontinental folge. Durch das Thema Instagram hat der Individualgastronom gerechte Chancen im Wettbewerb. Dazu braucht er gar keinen Superprofi oder eine Agentur! Eine Agentur kann allerdings bei den ersten Schritten helfen.
ahgz: Was sind aktuell die großen Trends beim Ambiente in Hotellerie und Gastronomie?
Pierre Nierhaus: Sharing ist ein großer Trend. Wo früher ein Mercedes stand, ist heute die große Tafel. Es kommen Schüsseln und Platten auf den Tisch und jeder Gast kriegt einen kleinen Teller und nimmt sich selbst. Der Family Style ist super kommunikativ, macht Spaß und passt in die Sharing Economy, aber auch zum hyyge-Trend aus Dänemark: die neue Gemütlichkeit.
Ich sehe mehr natürliche Materialien und zugleich weniger Tischdecken. Dafür muss der Tisch selbst sehr hochwertig sein. Das fängt zum Beispiel mit Echtholzplatte an, mit wertigen Servietten aus Stoff und einem schönen Besteck. Wertig heißt nicht teuer, aber es muss gute Qualität und geschmackvoll sein. Wir sind farbenfroher geworden, aber es muss noch im Rahmen bleiben – einfach krass bunt ist es nicht. Man kann heute durchaus mit verschiedenen Farben bei den Tellern unterwegs sein, denn die müssen sich nach dem Gericht richten. Es darf natürlich nicht wie auf dem Polterabend aussehen, es muss eine Linie haben.
Stichwort Beleuchtung: Wenn ich insgesamt die Helligkeit im Lokal dimme, dann braucht jeder Tisch sein eigenes Licht, zum Beispiel eine Kerze oder LED-Lampne, die entsprechend warmes Licht geben.
ahgz: Wie häufig muss ein Gastronom seine Einrichtung an den Zeitgeschmack anpassen?
Pierre Nierhaus: Man muss im Betrieb Struktur und Technik haben, die bleibt. Wenn ich mich auf ein Thema einlasse, dann muss man unterscheiden: Ist es nur eine Mode? Das Produkt Hamburger zum Beispiel gab es schon immer, aber nach der Welle in den letzten Jahren sind wir satt von Burger-Restaurant. Mancher Hype bleibt nur einen Sommer und ist dann wieder weg. So einem Trend zu folgen, nur weil das ein paar mal im Fernsehen war, trägt nicht.
ahgz: Welche Trends werden aus Ihrer Sicht Bestand haben?
Pierre Nierhaus: Wenn ich sehe, dass immer mehr Menschen mittags snacken und abends warm essen, dann ist das eine große Veränderung. Ein Mittagsgericht wie die Bowl wird länger bleiben, weil es funktioniert. Der Gastronom muss erkennen: Ist es eine Mode oder ein größerer Trend und welchen Hintergrund hat der? Es gibt immer viele Dinge, die mit Herkunft zu tun haben. Bei Zimt denken wir automatisch an Weihnachten, bei Brötchen ans Frühstück. Am Ende entscheidet, was wir in der Kindheit gelernt haben, was im Stammhirn ist. Das kann man nicht leicht umkehren nach dem Mott: Das ist jetzt hipp, ist das jetzt.
Man sollte nicht eine Sommermode zum Restaurantthema machen, sondern man muss die gesellschaftlichen Hintergründe sehen. Man muss auf etwas gehen, das etwas Bestand hat. Levantinische Küche hat durchaus Bestand für die nächsten Jahre. Aber Vorsicht: In komplexen Zeit wie diesen wollen die Gäste Echtheit haben und das reicht es nicht, einfach auf levantische Küche umzuschwenken. Man muss das auch von der Persönlichkeit und der Herkunft her tragen. Die Story muss zumindest einen glaubhaften Kern haben.
ahgz: Herr Nierhaus, vielen Dank für das Gespräch.